Kinder- und Jugendarztpraxis
Dipl.-Med. Jens-Uwe Köhler
Mythen um die Schutzimpfungen
Hintergründe einer Impfskepsis sind oft Unwissenheit über immunologische Prozesse, von Infektionskrankheiten und von den Mechanismen der Schutzimpfungen selbst, aber auch diffuse Ängste und ideologische Gründe verstärken die Skepsis.
Ein häufiges Argument, eine Impfung abzulehnen, sind meist völlig überzogene Auflistungen vermeintlicher Nebenwirkungen. Aber auch die zunehmende Beliebtheit und unreflektierte Akzeptanz sogenannter alternativer oder homöopathischer Heilmethoden macht einige Menschen unzugänglich für sachliche Argumente. Gegen jede mögliche Erkrankung zu impfen, „nähme dem Körper des Kindes die Gelegenheit, das Abwehrsystem zu stärken“ (Santotzki: Sonnentau und Augentrost – Kinder heilen mit Homöopathie). Das ist eine völlig falsche und letztlich sogar gefährliche Behauptung.
Publikationen wie „Impfen: das Geschäft mit der Angst“ von G. Buchwald oder „Impfungen, der Großangriff auf Gehirn und Seele“ von H. L. Coulter lassen die Impfung gar zum Horrortrip werden, bei dem alle möglichen Gefahren drohen: chronische Ohrenentzündung, AIDS-Infektionen, Allergien, Krebs, multiple Sklerose, Diabetes mellitus, ADS, Immunschwäche und viele weitere Gesundheitsstörungen. Nichts davon hat etwas mit der erlebten Realität zu tun.
Ein Zitat aus dem Buch „Gesundheit!“ von der Ärztin Natalie Grams verdeutlicht die Situation sehr passend:
[Zitat]
Impfgegner versuchen - psychologisch nicht ungeschickt - verunsicherte Eltern auf ihre Seite zu ziehen und reden wohlklingend von einer „individuellen Impfentscheidung“. Eltern wüssten doch immer noch am besten, was gut für ihr Kind ist! Sie propagieren eine intuitive Entscheidung, frei nach dem Motto: Mein Kind gehört mir!
Doch Kinder „gehören“ Eltern keineswegs, wir tragen nur die Verantwortung für sie. Und unter diesem Aspekt muss man folgendes berücksichtigen: Bei einer so gut erforschten, sicheren und erfolgreichen Maßnahme wie dem Impfen tritt der Aspekt der individuellen Abwägung eindeutig in den Hintergrund. Woher soll die Expertise einzelner "Impformierter" kommen, angesichts von jahrzehntelangen Untersuchungen und Millionen von Daten? Angesichts einer Evidenzlage, die ihresgleichen sucht in der Medizin! Wer da den Einzelblick darüber stellt, handelt irrational.
Sicherlich gibt es manchmal gute Gründe, eine Impfung nicht oder erst später zu geben. Das entscheidet aber besser ein Arzt, nicht ein verunsicherter Laie. Alle anderen „individuellen Impfentscheidungen“ sind meist nur (un-)schöner Schein. Niemand wägt seine privat-persönliche Einschätzung wirklich rational gegen die Evidenz des Impfens ab (sonst gäbe es wohl gar keine ungeimpften Kinder).
„Abgewogen“ wird gegenüber so was wie: „Es gibt viel zu früh, viel zu viele Impfungen, keiner schaut auf Gefahren. Impfungen sind nicht natürlich, nur Gift und Chemie-Cocktails, ein florierendes Geschäft mit der Angst, überhaupt nicht wirksam, machen Kinder krank, lösen Autismus aus und „man“ will uns alle ausrotten“. (Yes, ich lese gerne in Impfgegnerforen mit). Eine Entscheidung wird so alles andere als rational und nicht auf der Basis von Fakten gefällt. Finde ich schlimm. Grade auch angesichts der steigenden Masernzahlen.
[Zitat Ende]
Mein Anliegen ist es, die Diskussion etwas zu versachlichen, indem ich Ihnen im folgenden meine Antworten zu den häufigsten Fragen und Behauptungen darstelle, mit denen Impfärzte gelegentlich konfrontiert werden.
Weitere Fragen und entsprechende Antworten finden Sie auch auf der Homepage des Robert-Koch-Institutes (LINK)
Zehn häufigsten Behauptungen der Impfkritiker und meine Antworten dazu
Behauptung 1
„Erkrankungen sind weniger gefährlich als Impfungen, die Nebenwirkungen mit sich bringen und Langzeitfolgen haben, die wir noch gar nicht kennen.“
Antwort 1:
Die möglichen Komplikationen einer Schutzimpfung sind selbstverständlich viel seltener und weniger gravierend, als die möglichen Folgen der Erkrankung, vor der geschützt wird. Im Vergleich der Komplikationshäufigkeiten von Schutzimpfungen und entsprechenden Erkrankungen zeigt sich, dass die Infektionserkrankungen um ein Vielfaches häufiger von schwerwiegenden Komplikationen begleitet werden, als es bei den Schutzimpfungen beobachtet werden kann.
Behauptung 2
„Verschieben von Impfungen in ein höheres Alter trifft einen stärkeren Organismus!"
Antwort 2
Der Immunschutz eines Menschen ist kompetenter, je früher er – z.B. durch Schutzimpfungen – aufgebaut worden ist. Der Keuchhusten-Atemstillstand bedroht kleine Säuglinge, Leberzirrhose und hepatozelluläre Karzinome durch Hepatitis-B-Infektionen verursacht, sind bei Säuglingen und Kleinkindern viel häufiger als im späteren Lebensalter. Die sehr gefürchtete Pneumokokken-Gehirnhautentzündung tritt meistens ab dem 6. bis 18. Lebensmonat auf.
Der Tetanus-Schutz sollte vor Erreichen des Krabbelalters erfolgen (da ab diesem Alter die Verletzungshäufigkeit des Kindes und damit die Infektionsgefahr stark zunimmt). Diphtherie, früher auch als „Würgeengel der Kinder“ bezeichnet, trifft besonders Säuglinge und Kleinkinder. Neue Gruppenbildungen in Krippe, Kindergarten und Schule sollten eine komplette Masern-Mumps-Röteln-Windpocken-Impfung zur Voraussetzung haben.
Behauptung 3
„Stillen reicht zur Prophylaxe von Kinderkrankheiten aus!“
Antwort 3
Spezifische Antikörper konnten tatsächlich in der frühen Muttermilch nachgewiesen werden, wenn die Mutter selber erkrankt, oder vollständig geimpft war. In der Muttermilch sind die Antikörpermengen allerdings unzureichend und die Menge halbiert sich etwa jeden Monat. So ist der Masernschutz ab etwa dem 6. Lebensmonat nicht mehr gegeben. Natürlich schützt Stillen vor anderen, nicht durch Impfung vermeidbaren Krankheiten (Darminfektionen z.B.). Ein Schutz vor impfpräventablen Erkrankungen ist jedoch somit nicht in ausreichendem Maße zu erreichen.
Behauptung 4
„Durchgemachte Kinderkrankheiten sind „für die seelische Entwicklung“ wichtig!“
Antwort 4
Krankheiten des Kindes fördern eine enge Eltern-Kind-Bindung, das Kind spürt die Fürsorge der Eltern. Jeder banale Infekt führt zu dieser emotionalen Nähe. Warum sollten also gefährliche Krankheiten mit hoher Komplikationsgefahr in Kauf genommen werden, wenn sichere und erprobte Schutzimpfungen zur Verfügung stehen? Pointiert gesagt: Würden Sie Ihr Kind einmal quer über die Autobahn schicken, nur damit es die Gefahr kennen lernt, die vom Straßenverkehr ausgeht?
Behauptung 5
„Impfungen lösen Allergien aus.“
Antwort 5
Es gibt keine Hinweise auf die direkte Auslösung einer Allergie durch einen Impfstoff. Begleitstoffe und Konservierungsstoffe (z.B. Merthiolat, Natrium-Timerfonat) können jedoch allergen sein und z.B. verstärkte Impfreaktionen an der Einstichstelle auslösen. Schwere allergische Reaktionen sind extrem selten. Als Ausnahme gilt die Grippeschutzimpfung bei Vorliegen einer sicher nachgewiesenen Hühnereiweiß-Allergie. Die Behauptung, es gäbe eine Zunahme von Allergien durch Impfungen, ist mehrfach widerlegt und sollte als Argument gegen Impfungen nicht akzeptiert werden. In der DDR wurde viel konsequenter geimpft als im Westen Deutschlands, es herrschte quasi Impfzwang. Die Allergiehäufigkeit der DDR war jedoch viel niedriger als in der Bundesrepublik.
Behauptung 6
„Mehrfachimpfungen sind eine große Belastung, haben mehr Nebenwirkungen und überladen das Immunsystem!“
Antwort 6
Der menschliche Organismus muss sich täglich mit mehreren hundert verschiedenen Krankheitserregern auseinander setzen. Dies führt zum Erwerb einer kompetenten Immunabwehr. Bei einer Schutzimpfung wird der für das Immunsystem beste Zeitpunkt gewählt, erstmalig mit einem Erreger in Kontakt zu kommen. Die verabreichten Antigene sind meist nur Bruchteile der Krankheitserreger, oder tote Mikroorganismen oder unwirksam gemachte Viren. Mehrfachimpfungen reduzieren die Anzahl der einzelnen Injektionen sowie die Menge von Konservierungsstoffen, Antibiotika und Begleitstoffen. Es sollte daher das Aufteilen einer Mehrfachimpfung auf viele Einzelimpfungen soweit wie möglich vermieden werden.
Mit Mehrfachimpfungen wird die Anzahl von Besuchen in der Arztpraxis reduziert und das Erreichen eines Belastbaren Schutzes vor Infektionskrankheiten kann wesentlich früher erreicht werden.
In Anbetracht der täglichen Vielzahl echter Angriffe durch mehrere hundert verschiedene Krankheitserreger, ist die Menge in den Kombi-Impfstoffen völlig unbedeutend und belasten das Immunsystem kaum nennenswert mehr.
Behauptung 7
„Auffrischimpfungen gegen bei uns bereits ausgelöschte Erkrankungen sind doch sinnlos!“
Antwort 7
Kinderlähmung und Diphtherie wurden auf dem Amerikanischen Kontinent und in Europe (nur für Polio zutreffend) durch konsequentes Impfen ausgelöscht. In anderen Ländern sind sie aber noch häufig vorhanden, dadurch kann es zu einem Re-Import dieser, bei uns längst vergessenen Krankheiten kommen. Eine Abnahme der Durchimpfungshäufigkeit kann wieder eine epidemische Ausbreitung der Erkrankung ermöglichen (so zuletzt 2015 in Berlin mit Masern passiert). Impfungen gegen gefährliche Infektionskrankheiten dienen damit nicht nur dem Eigenschutz, sondern auch dem Schutz von Menschen, die keinen ausreichenden Impfschutz haben, nicht geimpft werden können oder einfach noch zu jung für bestimmte Impfungen sind.
Behauptung 8
„Impfstoffe können gefährliche Krankheiten übertragen!“
Antwort 8
Aktive Impfungen sind keine Blutprodukte, sondern abgeschwächt lebende Organismen bei voller antigener Wirkung, abgetötete Erreger oder Bruchstücke von Krankheitserregern, die gentechnologisch oder auf Hühnereiweiß gezüchtet werden. All diese Bestandteile können keine Krankheit auslösen, können sich nicht vermehren und sind auch nicht auf andere Menschen übertragbar.
Bei Lebendimpfstoffen gibt es zwar die theoretische Möglichkeit, dass diese auf andere Menschen übertragbar sind, wurde aber in der Praxis leider noch nie beobachtet.
„Leider“ schreibe ich, weil das ansonsten ein cleveres Impfprogramm sein könnte: nur ein Kind müsste in einer Kita mit einem abgeschwächten Virus geimpft werden und alle anderen dürften sich dann anstecken, um auch einen Impfschutz aufzubauen.
Behauptung 9
„Krankheiten sind verschwunden, weil sich die Hygiene verbessert hat, nicht weil Impfstoffe eingeführt wurden.“
Antwort 9
Richtig ist: Die sozioökonomische Entwicklung der letzten Jahrzehnte, eine bessere Ernährung und der Antibiotika-Einsatz haben zum Sieg über viele Krankheiten geführt. Unbestritten ist aber, dass z.B. mit der Einführung der Masern-Impfung in den USA die Krankheitsfälle dramatisch zurückgingen: von 800.000 bis 900.000 im Jahr 1963 auf unter 100 im Jahr 2000. Der Rückgang der invasiven HiB-Fälle seit 1990 ist eindeutig auf die Einführung einer effizienten und sicheren Impfung zurückzuführen. Die Einführung der Polio-Dreifach-Schluckimpfung 1962 hat die Zahl der Poliomyelitis-Fälle pro Jahr in Westdeutschland von 10.000 auf Null absinken lassen. Seit 1990 ist Deutschland poliofrei. Das Wiedererwachen der Diphtherie nach dem Fall der Mauer – allein im Jahr 1994 gab es in den GUS-Staaten wieder 50.000 Fälle – war eindeutig durch den Zusammenbruch des öffentlichen Gesundheitswesens in Osteuropa bedingt, das die notwendigen Impfungen nicht mehr durchführen konnte. Der Rückgang all dieser Krankheiten hat wenig mit verbesserten Hygiene-Maßnahmen oder Antibiotika-Gabe zu tun, sondern ist auf den konsequenten Einsatz von Impfungen zurückzuführen.
Tollwut ist in Deutschland nicht ausgerottet, weil sich der Hygienestandard bei Füchsen verbessert hat, sondern weil es flächendeckende Köderimpfungen gab.
Behauptung 10
„Mütter, die eine Krankheit durchgemacht haben, übertragen ihrem Kind mehr Antikörper als Mütter, die Impfungen erhalten haben!
Antwort 10
Es gibt Krankheiten mit sehr geringem Nestschutz, z.B. Tetanus und Diphtherie. In Entwicklungsländern wird deshalb eine Tetanusimpfung der Mutter während der Schwangerschaft durchgeführt, um zum Zeitpunkt der Geburt hohe Antikörper-Titer auch für das Kind zu erreichen. Diese Impfprogramme konnten die Rate der Neugeborenen Tetanus-Fälle drastisch reduzieren. Es kommen Mütter in unsere Praxen, die als Kind bereits gegen Masern-Mumps-Röteln (MMR) geimpft wurden, die Antikörper-Titer sind daher niedriger als nach durchgemachter Erkrankung. Aufgrund dieser Tatsache wurde von der STIKO die MMR-Impfung auf den zwölften Lebensmonat vorverlegt. Hingewiesen werden muss auf die Durchführung der zweiten MMR-Impfung im zweiten Lebensjahr (8Wochen nach der ersten), um den Impfschutz auf 99% anzuheben.
Auch die Eltern sollten sich heute eine zweite MMR-Impfung geben lassen, wenn sie als Kind nur Eine bekamen (Geburtsjahrgang 1970 bis 1991)
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